Mein Heiligabend 

Kurz nach sechzehn Uhr und später als die anderen schloss der alte Buchhändler (Nideggen hatte früher noch einen Buchladen) an diesem Heiligabend den Laden. Was hätte er auch sonst tun sollen? Da war niemand mehr, der ihn zuhause erwartete und die Kunden, die auf den letzten Sprung in die Buchhandlung kamen, waren dankbar, dass sie hier noch ein fehlendes Geschenk kaufen konnten.

Langsam schlenderte er nun zum Parkplatz und wie jeden Tag machte er noch im Ratskeller auf eine

Tagessuppe, einem Gläschen Wein und einen Espresso Halt. Er wechselte ein paar Worte mit den Gästen,  die hier den Tag ausklingen ließen, ehe sie nach Hause gingen, wo auch auf sie keiner wartete. Mit den Übernachtung Gästen, die den Heiligen Abend in Nideggen verbringen wollten, wechselte er ein paar Worte, sonst war nicht viel los, schließlich war es ja Heilig Abend. 

Er hatte nichts zu versäumen, es klingelte kein Glöckchen bei ihm zu Hause und es öffnete sich keine Tür mit Blick auf einen erleuchteten Weihnachtsbaum. Ach, seufzt er, allein ist doch allein, doch er will sich nicht beklagen, er ist gesund und kann tun und lassen was er will. Er kaufte sich noch eine Flasche Rotwein für den Abend daheim und nahm sich noch ein kleines Menü mit: Schweinebraten mit Rotkohl, Kartoffeln wollte er zu Hause dazu tun. Bei dem Gedanken lief ihm das Wasser im Mund zusammen.

Als er sich auf dem Heimweg machte, war es kurz vor achtzehn Uhr und die Glocken der Kirche St. Johannes Baptist läuteten die Leute feierlich zum Heiligabend Gottesdienst herbei. Er ließ sich Zeit, denn die hatte er ja auch. Sicherlich hätte er gerne unterwegs auch Halt gemacht, um einem Bettler oder einem verirrten Menschenskind oder einem verlorenen Hund, der ihn mit hungrigen Augen ansehen würde, etwas zu gegeben. Doch von all jenen Trostlosen, mit deren Nachrichten, Geschichten und Filmen zu Heiligabend man überschüttet wird, war aber niemand da, der seiner Hilfe bedurfte. Das Klischee war auch nicht mehr das, was man von ihm erwartete oder besser gesagt, in Nideggen war da keiner auf seinem Heimweg auf der Straße, den er hätte beschenken können. Dafür aber war er eigentlich dankbar, hatte er doch mit sich selbst genug zu tun.

Jetzt freute er sich auf sein Weihnachtsessen, das aus der Tüte duftete und auf seine Flasche Wein. Er fühlte eine Wärme in sich aufsteigen und sprach freudig vor sich hin:  

Jetzt kann das Christkind kommen.